Im „Haus der liebevollen Aufnahme“ der Angst und Not entfliehen
Dem erbarmungslosen Gesetz der Straße sind schätzungsweise 500.000 obdachlose Kinder in Peru ausgeliefert. Unter Pappkartons, Brücken und Autowracks suchen die heimatlosen Minderjährigen Schutz, betäuben ihre Angst und Verzweiflung mit Drogen, schließen sich kriminellen Gangs an und kämpfen zur Not mit aller Gewalt ums Überleben. Seit 1993 finden diese Straßenkinder und Kinder aus armen Familien Zuflucht im „Haus der liebevollen Aufnahme“, der Casa de Acogida. In dem mehrstöckigen Haus in einem Armenviertel der Stadt schenken die Salesianer Don Boscos rund 80 haltlosen jungen Menschen zwischen 7 und 18 Jahren ein sicheres Obdach, psychologische Betreuung und eine schulische sowie berufliche Ausbildung.
Liebevolle Aufnahme wird hier großgeschrieben
Das Haus, dessen Bau allein durch private Spenden finanziert wurde, ist auch Anlaufpunkt für Straßenkinder, die einen Drogenentzug hinter sich haben. Viele der Kinder in Haus der liebevollen Aufnahme haben Schreckliches erlebt und sind traumatisiert. In Gesprächen, Gruppenrunden und durch sportliche Aktivitäten lernen sie, ihre Traumata zu verarbeiten. Sie werden behutsam an einen geregelten Tagesablauf und Gemeinschaftsleben herangeführt. Wer sich an den anfallenden Hausarbeiten beteiligt, wird mit Kinogutscheinen und kleineren Geschenken belohnt oder bekommt ein Taschengeld.In Abendkursen können sie ihren Schulabschluss nachholen. Die Jugendlichen testen in Workshops ihre Fertigkeiten und können sich dann für eine Ausbildungsrichtung entscheiden: KFZ-Mechanik, Elektrik, Druckerei, Schlosserei, Schreinerei, Schneiderei und Gastronomie. Sport und Freizeitangebote geben Ausgleich und trainieren Fairness, Teamgeist und Selbstvertrauen.
In der hauseigenen Bäckerei produzieren die Jugendlichen das Brot für ihren täglichen Bedarf und für den Verkauf. So lernen sie, sich selbst zu versorgen und Verantwortung zu tragen.
„Uns ist es wichtig, dass die Jungen ihren eigenen Teil zu den Betriebskosten beitragen. Sie sollen Protagonisten ihrer eigenen Entwicklung werden und nicht einfach nur ein Hilfsangebot nach dem anderen durchlaufen. Das verstehe ich als Hilfe zur Selbsthilfe,“ erklärt Pater Ricardo SDB.
Die Backwaren werden günstig an ärmere Menschen verkauft und zum Teil auch an Obdachlose verschenkt. Die ehemaligen Straßenkinder lernen dabei, dass wirtschaftliches Handeln und Nächstenliebe sich nicht zwangsläufig ausschließen. Jede Nacht ziehen außerdem einige der Jungen mit Kannen voller frischem Kaffee und Brötchen los in die Armenviertel rund um die Stadt, um Obdachlose zu versorgen.
Zum Beispiel Ramon
Ramons Eltern trennten sich als er neun Jahre alt war. Seinen Vater kannte er nur mit einer Flasche Schnaps in der Hand, die er im Suff oftmals gegen ihn und seine zwei älteren Brüder schleuderte. Gewalt erzeugt Gegengewalt - seine beiden Brüder sitzen eine mehrjährige Haftstrafe wegen Totschlags ab.
Ramon hingegen ist auf einem guten Weg, das alles hinter sich zu lassen. Er hatte sich auf die Straße geflüchtet. Seine Tage verschwanden in einem grauen Einerlei von Hunger, Rausch, Gewalt und Langeweile. Er bettelte auf der Plaza Mayor in Lima Touristen an und stahl ihnen die Brieftasche, um sich und den anderen Mitgliedern seiner kleinen Ersatzfamilie Limonade, Brot und Klebstoff zu kaufen. Er erzählt stockend von seinem Leben damals, er erinnert sich nicht gerne.
Heute ist er in der sogenannten Stufe fünf des Straßenkinderprojektes von Don Bosco. Stufe fünf bedeutet, dass er eine Ausbildung angefangen hat und sich ein kleines Einkommen erwirtschaftet. Vorsichtiger Optimismus macht sich breit, dass Ramon den Absprung geschafft hat.
Eine Brücke zu Straßenkindern bauen
In einer warmen Sommernacht im Jahre 1993 sah Pedro Dabrowski SDB, wie Polizeipatrouillen Straßenkinder in Lima verfolgten. Sie wollten sie festnehmen und ins Gefängnis schicken. Pater Pedro zögerte nicht lange und öffnete den Kindern und Jugendlichen die Tür seines Hauses. So konnten sie sich im Innenhof des Gebäudes verstecken. Seit dieser Nacht bieten die Salesianer Don Boscos Kindern und Jugendlichen, die in Lima auf der Straße leben, ein Zuhause.
Bereits 1902 hat die Arbeit der Salesianer Don Boscos im Andenstaat Peru begonnen. Heute wirken rund 160 Salesianer Don Boscos an 14 verschiedenen Standorten und unterschiedlichen Rollen. In den Jugendzentren, Vor- und Grundschulen, Berufsbildungszentren und dem Medienzentrum geben sie den benachteiligten jungen Menschen Sicherheit, Geborgenheit in der Gemeinschaft, schulische und berufliche Bildung und fördern individuelle Stärken. Ganz im Sinne Don Boscos und seinen Worten: „Wer sich geliebt weiß, liebt wieder. Und wer geliebt wird, erreicht alles.“
Die Arbeit mit Straßenkindern und die berufliche Bildung für marginalisierte Jugendliche ist auch hier der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Spezifisch für die Andenstaaten sind die besonderen Angebote zur ländlichen Förderung und die Unterstützung der indigenen Bevölkerung.