Erfahrungsbericht Manuel, 20 Jahre

Botschafter des Friedens

Vergangenheit und Zukunft: Manuel* musste als Kindersoldat in Kolumbien viel Gewalt und Leid erfahren. Dank Don Bosco kann er wieder in ein normales Leben zurückfinden und fühlt sich jetzt als Botschafter des Friedens.

Manuel hat heute noch Albträume von seiner Zeit als Kindersoldat. Die Vergangenheit hat tiefe Narben bei ihm hinterlassen. Zusammen mit seinem älteren Bruder schloss er sich freiwillig bewaffneten Gruppen an, um der Armut und dem Hunger Zuhause zu entfliehen. »Die Rebellen und vor allem ihre Waffen faszinierten uns. Das Leben der jungen Soldaten wirkte auf uns wie ein spannendes Abenteuer«, erklärt der 20-Jährige, der zurzeit eine Ausbildung in der Ciudad Don Bosco in Medellín macht. Was es wirklich bedeutete, Dienst an der Waffe zu tun und den Rebellen zu folgen, konnten die Brüder damals noch nicht überschauen. Bald holte sie die harte Realität ein. Sie mussten nachts Wache schieben, hatten kaum Schlaf und oft Hunger. Menschliche Wärme oder Zuneigung kannten sie nicht. Drogen halfen ihnen, den Hunger und auch die willkürliche Gewalt zu ertragen. Schon bald bereuten sie es, sich der Gruppe angeschlossen zu haben. Doch ein Zurück gab es nicht mehr.

Tod als täglicher Begleiter  

Das schlimmste Erlebnis für Manuel war der Tod seines Bruders. Bis heute hat er den Verlust nicht überwunden. Sein Bruder wurde von der eigenen Truppe erschossen  – wegen Ungehorsams. Mehrmals war er von dem Kommandanten verwarnt worden, weil er sich Befehlen widersetzte. Dann wurde er am helllichten Tag exekutiert.

»Wir umarmten uns und dann sagte er nur: „Pass auf dich auf. Ciao.“

Ich sah ihn nie mehr wieder. Mit diesem Erlebnis hat sich für mich alles verändert. Ich hatte nicht nur meinen Bruder, sondern auch meinen einzigen Vertrauten und Freund verloren«, erzählt Manuel mit gebrochener Stimme. Danach wollte er nicht mehr bei der Truppe bleiben und entschloss sich, zu fliehen. Mehrere Tage irrte Manuel orientierungslos durch die Berge und litt Hunger, bis er zu Don Bosco kam. Hier lebt er heute und versucht, Frieden mit seiner Vergangenheit und sich selbst zu schließen. In der Ciudad Don Bosco besucht er eine Schule und bildet sich im Bereich Metallverarbeitung weiter. Er ist sehr glücklich mit seinem neuen Leben und möchte die Vergangenheit als Kindersoldat am liebsten vergessen.

Die Vergangenheit vergessen

Doch das schafft er nur mit professioneller Hilfe. Es ist ein langer Prozess, der viel Zeit braucht. Als Kindersoldat wurde er mit Waffen groß. Er wurde ausgebildet, um zu kämpfen und zu töten. Ein solches Leben schüttelt man nicht einfach ab. Ihre Familien oder frühere Freunde wollen oft nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Sie grenzen sie aus, weil sie »Blut an ihren Händen« haben. Denn manche mussten auf Befehl der Rebellen sogar eigene Familienangehörige töten. Um die Traumata zu überwinden, brauchen ehemalige Kindersoldaten die Hilfe, die sie bei Don Bosco bekommen: Pädagogen, Psychologen und Sozialarbeiter sind rund um die Uhr im Einsatz. Vor allem müssen die Jungen und Mädchen wieder die Regeln des sozialen Zusammenlebens erlernen. »Die Jugendlichen haben den Großteil ihres Lebens damit verbracht, Befehle zu befolgen, ohne sie infrage zu stellen oder gar zu widersprechen. Jetzt müssen sie wieder ganz alltägliche Formen des Zusammenlebens lernen, und sie müssen Verantwortung für ihr Verhalten und ihre Mitmenschen übernehmen«, so James Areiza, Koordinator des Schutzprogramms für Kindersoldaten der Ciudad Don Bosco.

Hoffnung auf Frieden in der Seele, für einen Neuanfang

Bis er 14 Jahre alt war, konnte Manuel weder lesen noch schreiben. Bei Don Bosco schließt er jetzt bald die Schule und auch eine Ausbildung ab. Hier lernt er auch, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Das soziale Miteinander in einer Gemeinschaft musste er erst wieder erlernen. Im Andenken an seinen Bruder hat sich Manuel seinen Namen auf die Fingerknöchel tätowieren lassen.

Die Jungen wurden ausgebildet, um Schmerzen zuzufügen, zu töten und Leichen zu zerstückeln. Die Mädchen wurden von den Offizieren missbraucht, und viele hatten Abtreibungen. Sie wissen, wie es sich anfühlt, nur noch sterben zu wollen. Diese Traumata müssen sie erst bewältigen, bevor sie die Chance auf ein neues Leben haben.
Pater Rafael Bejarano Direktor der Ciudad Don Bosco in Medellín

2003 haben die Salesianer in der kolumbianischen Metropole Medellín ein Schutzprogramm für Kindersoldaten initiiert. Um die gesellschaftliche Integration zu erreichen, arbeiten die Don Bosco Mitarbeiter eng mit den Familien der Betroffenen zusammen. Bisher erhielten 2.300 Jugendliche Hilfe, rund 85 Prozent von ihnen fanden den Weg in ein neues Leben. Manuel gehört dazu. Er blickt zuversichtlich in die Zukunft und will andere vor seinem Schicksal bewahren. Deshalb ist er auch ein Protagonist des Films »Alto el fuego« (Waffenstillstand) geworden, in dem er über seine Vergangenheit als Kindersoldaten berichtet. Denn er hat zu viele Kinder und Jugendliche sterben sehen.

Sein größter Wunsch ist es, dass der Frieden in Kolumbien anhält und er später eine Arbeit finden und eine Familie gründen kann.

Text: Kirsten Prestin