Indien: Nithya vor ihrer E-Rikscha

120 Lächeln am Tag

In der südindischen Küstenstadt Kollam übernehmen die Frauen dank Don Bosco das Steuer: Als E-Rikscha-Fahrerinnen tragen sie selbstbewusst zum Überleben der Familien bei.

Am Ende des Tages 120 Lächeln verdient

Nithya ist eigentlich eine typische 30 jährige Frau in Kollam, Südindien: Sie ist verheiratet, Mutter einer Tochter und lebt mit ihrem Mann und der Schwiegermutter unter einem Dach. Ganz untypisch ist aber ihr Beruf: Sie ist aktuell die einzige E-Rikscha-Fahrerin in Kollam! Das und ihr täglicher Arbeitsweg machen sie stadtweit bekannt. 

Nein zum Hunger

Nithya ist beim Fishermen Community Development Programme (FCDP) angestellt, einer gemeinnützigen Organisation unter Leitung der Salesianer Don Boscos. Ihr Arbeitstag beginnt hier in der Küche des Projekts Vishappinu Vida – “Nein zum Hunger!”. Mehrere hundert Mahlzeiten für bedürftige Senioren werden hier zubereitet. Nithya packt beim Verladen der frisch gekochten Mahlzeiten mit an und macht sich dann schwungvoll auf ihre Tour. Sie verteilt die Essenspakete natürlich mit der E-Rikscha und steuert sie stolz durch die Straßen Kollams. An Kreuzungen, Märkten, vor Heimen, Kirchen und auch mitten in Wohnvierteln hupt sie kurz. Das Zeichen für die Abholenden, das sie da ist. Einige der Senioren sind zu alt und schicken ihre Verwandten zur leuchtend hellblauen E-Rikscha und ihrer bunt gewandeten Fahrerin hinaus. Andere haben keine Verwandten in ihrer Nähe. Dann parkt Nithya ihre E-Rikscha und bringt das Essen bis zur Tür. Überall, wo sie hinkommt, wird sie mit einem Lächeln begrüßt. 

"Ich liefere täglich kostenlose Mahlzeiten an etwa 120 Menschen aus. Die Älteren freuen sich über meinen Besuch, grüßen mich mit einem Lächeln und erzählen mir aus ihrem Leben. Sie sind mir nicht böse, wenn ich mal kurz angebunden bin – ich muss ja weiter! Das ist so, als ob man sich 120 Mal am Tag ein Lächeln und Dankbarkeit verdient.”
Nithya, 30 Jahre E-Rikscha Fahrerin

Das Lächeln wieder lernen

Nithyas Leben selbst war nicht immer von Lächeln erfüllt. Ihre erste Ehe war ein Märtyrium für sie.  Ihr Ehemann und dessen Familie verdammten sie zu einem einsamen Leben: Er immer im Ausland arbeitend, die Schwiegerfamilie mit dem Verbot für Nithya selbst, arbeiten zu gehen und mit immer mehr Pflichten im Haushalt. Diese ständigen Schikanen und die Einsamkeit trieben sie in eine Depression. Ihre Freunde und ihre eigene Familie mussten lange Überzeugungsarbeit leisten, bis sie bereit war, dem Leben eine zweite Chance zu geben.

Diese Chance bekam sie auch von ihrem jetzigen Ehemann Eapen. Selbst Rikscha-Fahrer, ist er durch einen schweren Unfall teils gelähmt und konnte die Familie nicht mehr allein ernähren. Er war es, der Nithya das Rikscha fahren beibrachte – auf der Benziner-Rikscha seines Cousins. Eine eigene Rikscha können die beiden nicht bezahlen. Die rettende Idee kam von Nithyas Schwiegermutter. Sie hatte vom "E-Rikscha-Trainingsprogramm für Frauen" bei Don Bosco gehört. Nithya bewirbt sich und darf an diesem Projekt teilnehmen. Dank ihrer Vorerfahrungen beherrscht sie das Fahren der elektrischen Rikscha-Variante schnell: "Die E-Rikscha ist im Vergleich zur Diesel-Rikscha extrem einfach zu fahren. Sie hat keine Gänge und ist vollautomatisch. Außerdem ist sie aus Glasfaser gebaut und damit im Vergleich zur konventionellen Rikscha, die aus Metall besteht, sehr leicht. Daher ist es einfacher, sie auf den Straßen zu manövrieren." , erklärt Nithya sichtlich stolz die Unterschiede zwischen den Gefährten – die hier auch als Tuk Tuks bekannt sind.

Am Steuer ins Glück

Mit dem Tag, an dem sie ihren Führerschein für die E-Rikscha und die Anstellung bei Don Bosco bekommen hat, zieht das Glück vollends wieder in ihr Leben ein: Sie trägt selbst entscheidend zum Familieneinkommen bei und hilft damit tatkräftig, Schulden und Kredite abzuzahlen. Ihr Selbstbewusstsein wächst Tag um Tag. Nithya ist so gut, dass sie bei Don Bosco nicht nur Fahrerin, sondern auch Fahrlehrerin ist. Nach ihrer Runde am Vormittag mit den Essenspaketen, schult sie andere junge Frauen am Steuer der E-Rikscha. Abends fährt sie Frauen und ihre Einkäufe von den Märkten nach Hause und bietet speziell ihren Nachbarinnen einen Pendelservice an. Damit sorgt sie ganz nebenbei auch noch für deren Sicherheit.

Frauen am Steuer –Vorbilder und ganz geheuer

All diese Frauen schauen zu Nithya auf. Eine finanziell unabhängige Frau wie sie ist ein gutes Vorbild. Sie gibt den Frauen die Hoffnung, dass sie alle ein Leben in Würde führen und eigenständige Ernährerinnen ihrer Familien sein können.

Indien: Frauen bei der Fahrstunde

Und Nithya hat große Zukunftspläne: "Meine eigene E-Rikscha fahren zu können, wäre großartig. Rikschafahrerinnen und -fahrer können etwa 800 Rupien pro Tag (etwa 9 Euro) verdienen, indem sie Pendler durch die Stadt fahren. In einem Monat käme ich also auf etwa 24.000 Rupien (270 Euro). Fast dreimal so viel, wie wir gerade gemeinsam verdienen. Damit könnte ich unser vierzig Jahre altes Haus renovieren, all unsere Schulden schneller begleichen und meiner Tochter eine gute Zukunft ermöglichen. FCDP hat einen Leasingplan für E-Rikschas entwickelt: Wir könnten sie nach einem Jahr günstig kaufen. Ich kann es kaum erwarten – doch durch die Corona-Pandemie verzögert sich das alles noch.”

Viele Familien hier leben traditionell vom Fischfang, doch die Netze bleiben immer öfter leer. Die Einkünfte aus dem Verkauf des Fisches bleiben aus, die Mägen leer. Kaum eine Familie kann sich den Schulbesuch der Kinder leisten. Unser Trainingsprogramm nimmt die Fischerfrauen in den Fokus und ermöglicht ihnen ein nachhaltiges Einkommen. Jährlich wollen wir 90 Frauen schulen. Das Training ist nur ein Teil des Programms. Wir wollen den Frauen den Kauf einer eigenen E-Rikscha ermöglichen und arbeiten dabei mit Mikrokrediten und Leasingmodellen. Aktuell kommt uns die Corona-Pandemie in die Quere: Durch Lockdowns dauern Anträge auf Lizenzen und Fahrprüfungen bei den Behörden länger. Auch unser Unterricht ist nur eingeschränkt möglich. Aber wir tun alles dafür, die Frauen weiter zu befähigen. Denn dies Pandemie und ihre Folgen drangsaliert sie, die am Existenzminimum leben, am stärksten.
Pater Joby Sebastian, Direktor des FCDP
Santiago Ferreiro

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